Francoise Sagan
francoise sagan - epilogue
Aus dem Nachlass der wiederentdeckten Françoise Sagan erschien ein Roman, der eine vergangene Welt heraufbeschwört.
Der Sohn der französischen Schriftstellerin hat ein altes Manuskript ausgegraben und herausgegeben.
Ein Schloss in den Hügeln der Touraine. Ein tyrannischer Fabrikant samt kränkelnder Ehefrau. Daneben die Amour fou des schönen Sohnes mit der eigenen Schwiegermutter. Zikaden, blinkende Sterne.
Irgendwann in den achtziger oder neunziger Jahren hat die 2004 verstorbene französische Schriftstellerin diesen Roman geschrieben, der «Les quatre coins du cœur» heisst und in Paris für eine leichte Aufregung sorgte.
Das postum bei einer Freundin der Autorin entdeckte Romanmanuskript bestand aus kaum noch leserlichen Blättern, bevor es zum Verlag Plon kam. Mit der Sensation in der Hand kündigte dieser dem Literaturbetrieb eine Startauflage von 250 000 Exemplaren an. Tatsächlich waren es aber 70 000 Stück. Das kann man jetzt auch in der deutschen Ausgabe lesen, die mit dem Titel «Die dunklen Winkel des Herzens» erschienen ist.
Die Geschichte geht so: Henri Cresson ist der Protagonist. Seine Familie hat ein Vermögen gemacht, das zu Degenerationserscheinungen wie Langeweile und zu sinnlosem Luxus führt. Im Grunde arbeitet niemand mehr ausser dem alten Patriarchen. Man fährt auch Sportwagen, aber diese werden dem Sohn zum Verhängnis. Nach einem Unfall liegt er im Koma und wird von den Ärzten aufgegeben. Als er doch noch erwacht, schiebt man ihn in die Psychiatrie ab, und er wird mit Medikamenten zu jenem Idioten gemacht, der er in Wahrheit gar nicht ist. Das wird sich im Laufe des Romans noch zeigen.
Coolness oder Kühnheit?
Genesen zurück, erweist sich Ludovic Cresson als Ausbund schillernder Unschuld. Er ist schöner denn je, was seine Ehefrau Marie-Laure nicht davon abhält, ihn aus dem ehelichen Lager zu werfen. An dieser Stelle tritt Fanny auf, Marie-Laures Mutter, die den Duft von Paris aufs Land mitbringt und eine Erotik der mittleren Jahre, der sich niemand entziehen kann.
So also nehmen die Dinge ihren Lauf, bis nach dem Ende des Romans Denis Westhoff, der Sohn von Françoise Sagan, das Wort ergreift.
Im Nachwort erklärt er, was die Grundlage dieses Buches ist. Mit Maschine vollgetippte Manuskriptseiten, die man erst in eine Ordnung bringen musste. Auslassungszeichen zwischen den Sätzen.
Westhoff hat ergänzt und gestrichen, um dieses Werk, das seiner Meinung nach «an Unverschämtheit grenzende Kühnheit» besitzt, zu retten. Es ist eigentlich lediglich noch ein schwacher letzter Aufguss jener Gefühlsexplosionen, die Sagan bei Millionen von Leserinnen und Lesern auslösen konnte. Die Autorin war naturgemäss nicht mehr jung und brauchte das Geld, was soll daran verwerflich sein.
«Die dunklen Winkel des Herzens» ist wie in einer Zeit geschrieben, als es das Wort «Schwerenöter» noch gab. Als man mit Autofahrerhandschuhen Cabriolet fuhr - was zugegebenermaßen immer elegant ist und war - und die Diener noch Martin hiessen. Das noble Parfum vergangener Zeiten ist noch nicht verflogen, und dass die Gegenwart an diesem Ende des wenig eleganten 20. Jahrhunderts keine Chance gehabt hat, auch nur zwischen die Zeilen des Romans zu dringen, kann nur als Vorzug erkannt werden.
Ein Rest von Françoise Sagans beiläufiger Eleganz und ihrem beissenden Spott ist nur manchmal geniessbar, wenn sie diese dekadente Gesellschaft der ignoranten Bourgeoisie beschreibt. Die fein gesetzten kleinen Stiche in die Herzen der anderen...
Gelegentlich sieht man diese Gesellschaft über sich selbst erschrecken ,aber «Die dunklen Winkel des Herzens» spielt zu einer Zeit, in der man sich kaum noch vor den eigenen wilden Gedanken fürchtete.
Das bittersüße Leben
Ihre Bücher hat Françoise Sagan gerne mit dem Satz signiert: «Avec toutes mes condoléances» - «Mit herzlichem Beileid». Ein ironischer Spass, aber tatsächlich musste die einst gefeierte Autorin einen Grossteil ihres Lebens unter Beileidsbekundungen der Öffentlichkeit verbringen. Nach dem frühen Erfolg von «Bonjour Tristesse» kamen ein schwerer Autounfalls und die daraus resultierende Drogenabhängigkeit. Françoise Sagan war die meiste Zeit ihres rastlosen Lebens abhängig, später auch einsam und hoch verschuldet. Sie musste immer schreiben, und sie schrieb weiter. Rund vierzig Romane und Theaterstücke waren es nach «Bonjour Tristesse».
Das Staunen der Leser über die Frivolität einer achtzehnjährigen Autorin, die mit ihrer Suche nach wahren Gefühlen auch gleich die Verlogenheit der Gesellschaft entlarvte, erschütterte das Land. Die erste Auflage von Françoise Sagans neuem altem, an der Grenze zur Rufschädigung balancierendem Buch ist längst an die Leser gebracht.
Françoise Sagan: Die dunklen Winkel des Herzens. Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze und Amelie Thoma. Ullstein-Buchverlage, Berlin 2019.
Quelle: afp - foto afp